RHEIN-RUHR-MITTERNACHT
Musikvolle Dissonanzen der Pfeifentöne im Intervall einer halben Sekunde der Orgelpunkt summender Räder die Schöne der Ruhrgebietmitternachtsstunde.
Bisweilen schleicht eine Limousine das Pflaster scheint gelb vom Abblendlicht einer mit Hut in der Führerkabine ein Walzenbruch etwa Sonderschicht.
Jetzt wieder ein Hochofensamenerguss, Paroxysmus der Himmelsröte das ewige Abendrot dort am Fluss. Vom starren Wald der Schlote dringt Getröte.
In hohem Stockwerk eine helle Kammer: vielleicht nahm jemand die Bibel? Und manchmal horch ein Rufen wie aus Jammer. Hochrot am Horizont glänzt Homofabers Banner, beschwichtigt flackernd die enfants terribles.
(Erstlingsgedicht, 1960)
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WIE SOLL MAN DA SINGEN
Wie soll man da leben? Man soll ja auch nicht. (Gottfried Benn)
Immer noch fehlen die Lieder wenig Jahre nach Bombennächten und vielerorts dauern sie fort - wie soll man da singen? Man soll ja auch nicht wie damals schon jemand sang.
Aber was sein muss in unserem Überfluss Wohlstandsstätten über vergessenem Schutt Dank Hoffnung Angst neue Liebe - Unnötiges wird notwendig doch wieder klingen neuverwandelt aus Überflussnot.
(1969)
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ALLERSEELEN VON ST. LAURENT DU PONT
In der Nacht zum 2.11.1970 fanden 144 junge Menschen beim Brand eines Tanzlokals zu St. Laurent du Pont den Tod.
Und wir sangen im Spiel mit dem Feuer wie meistens wussten wir nicht im Selbstvergessen im Tanz im Weltvergessen im Spiel fragt die Umarmung nicht weiter hinter Wänden und Maskenmächten den Gott unserer Liebe.
Das Feuer kam wie großes Erinnern. Flucht in die einsame Angst kaum siegender Kuss Panik ohne Entzücken.
Und Wiederfinden im Licht und höheres Selbstübersteigen und über die Ahnungen seliger Tanz ? Gefragt ist wer überlebte.
(1970)
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EINE HOCHZEIT AM STROM
Zu sagen bleibt was an Dingen allein sich sagt
und sperrt sich nicht schwer gegen Worte im Gegenteil – es schwebt
und schwebt im Gegenteile den nichtssagend nichtigen Dingen wie Ort und Zeit wie
sagen wir damals und heute die alte Kirche am Strom wo man heute sang
unter Küssen die Ringe tauschte und schwieg – vor allen Dingen heute und dort am Strom.
(1970)
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TRAUER
Ein Erdbeben um die Wurzeln und das Erzittern stürzt bis in die Gipfel sturmgewohnte und mancher an hohe Blitze.
Inne bleibt unvergessen der Stoß dem vielerinnernden Erdreich Wurzeltiefe unserer Kraft stets unerschöpfter im lichteren Wehen.
Schauer tränken in Schweigen den durchschütterten Grund spaltenschließend – heilender Tränenwein unter Sang und Klang.
(1970)
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STIMME DES ZEITGEISTES
Sehr pathologisch dein Weinen über der Morgenzeitung versteh die Politik ist eiskalt hauptsächlich Weltwirtschaftskalküle mehr nationale noch zugegeben und der Zusammenbruch des Redners mit seiner Sorge um Deutschland medizinisch ganz simpel.
Glaub der Psychopathologie du durchschaust jeden Freitod erst recht diesen klaren Fall und fast alles was vor Gericht kommt und sicher kommen wird - und wie durchaus irrational dein Verhalten bedenklich fast.
Nimm für die Morgenandacht dein bewährtes Gesangbuch oder Goethe für jeden Tag auch andere Lyriker tun's aber besser die rationalen mit politischem Engagement verstehst du Engagement links oder rechts.
Von der Bibel rate ich ab wiederum jedenfalls ohne den Papst. Die spricht so ungeschützt naiv von Geldleihen ohne Zins zum Beispiel von Gott oder Mammon so schroff alternativ so gänzlich fremd dieser Welt.
(1970)
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EIN STÜCKCHEN OBERFLÄCHE
Ein Stückchen Oberfläche unserer vielberedeten Erde vertraut nun lieb und tief schamhaftes Tal wo die Vielrede haltgemacht ob schon ihrem Zugriff offen liegen Äcker und Wälder die Wiesen samt ihrer Heimlichkeit.
Längeres Bleiben nähme sie euch zög euch hinein in das große Zerreden. Sprachlos Vertrautes würde geheimnislos fremd.
So scheiden wir wie Freunde am Mittag in Schweigen.
(1971)
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HERZ-JESU-FEST BEIM ZAHNARZT
Das Terroristenfahndungsplakat beim Zahnarzt: sechzehn Unsterbliche. Lasset uns beten Patienten wir und Sie Herr Doktor für soviel Hoffnung Sehnsucht Liebe und Frustverdrehtes. Mein Gott du Christenheit erbarme dich ihrer deiner wie ihresgleichen in Trotzdemgedanken. Was soll sonst der Singsang vom Herzen Jesu?
(1978)
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UNTERDRÜCKTES
Von Liebe war nicht die Rede wo es ging um sie um die Brücke von Mund zu Mund von Kopf zu Herz von Herz zu Kopf von Lied zu Lied von Glied zu Glied den spielend gespannten Körper aus zweien einsturzbedroht durch Kirchen-Staats-Bomben. Statt singen das Lied überm Land wurde verhandelt ob wir uns nützen nicht ob wir stützen einer des anderen kühnen gemeinsamen Bau.
(1980)
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ALLEIN DEN WORTEN KANN ES NOCH GELINGEN
Was helfen aber Worte wo Waffen sprechen? Sie sprechen auch schweigend nach Männerart: Wehe – sonst knallt's! Drohschweigen Totschweigen dazwischen die Inflation von Wörtern um nicht zu sprechen. So versteht man sich seit Jahrtausenden unter Männern. Die Worte den Weibern und Kindern Schwulen Kabarettisten Reportern Poeten.
Noch stehn die Mauern „sprachlos und kalt im Winde klirren die Fahnen" über lautlosen Arsenalen.
Meine Herren jetzt einmal aufgepasst: die Zeiten änderten sich. Allein den Worten kann es noch gelingen. An die Front ihr Wort- und Verhandlungskünstler ihr vertrauensdurstigen Softies an die sanfte Front ihr Poeten! Rettet uns aus dem waffenklirrenden Schweigen.
Führt die gewaltsamen Messer mit der Genauigkeit ihrer jüngsten Raketen und unserer ältesten Träume.
(Bonn, am 22. November 1983, Abschluss der Nachrüstungsdebatte)
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STEPPENWOLF
In ihren Lesebüchern steht: Bitterarm war der Poet ein Nichtsnutz derweil fiebernd beschäftigt allgemein zu bereichern. Belächelt war er bis zum Sterben und jener Denker spann für sie darüberhinaus.
Sie schwärmen vom grausamen im Nachhinein nicht wahr kaum zu fassenden Schicksal. Romantik des Steppenwolfs Unter einverständigen Bürgern Und merkwürdig kalt bleiben sie wenn einer lebendig unter sie tritt die Zähne schüchtern verbergend unterm verbindlichen Lächeln.
Immer dasselbe sagen sich beide Seiten überall immer der Mensch und meinen dasselbe bis zum Verrecken nicht.
(1986)
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WAHLTAG
Deutschland wählt heute
CDU, SPD und dergleichen.
Ich wähle
das bessere Deutschland
das grüne Glück das
herüberschimmert
vorleuchtet irrlichtert oder
wie immer
mich heimsucht
unter Geisterstimmen
erregend heimlich
ein neues Du.
(1987)
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VOR DER WARTBURG
In derselben Warteburg wie Meister Luther sitz ich und kann nicht anders als warten dass auch mir ein Gott helfe Amen und sich selbst helfe gegen Kaiser und Päpste gegen Gift und Schwert gegen geschändete Bibel und Grundgesetze.
Triumphkreuz des Burgturms blaues Fahnentuch mit Europas Sternen ehren die deutschen Meister kaum. Schwarz-Rot-Gold scheint vergessen. Auf der Sängerwiese herrscht was für Stille? Verdruckstes Sehnen brütet dass Sein Reich doch noch komme und allen zum Recht verhelfe die Mammon und Lüge verschlangen oder in die Warteburg zwangen - für wie lange noch Meister der Meister?
(1988)
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AUFS ALTE JAHRTAUSEND
Die Stelle des Übergangs ins neue Jahrtausend bleibt auch noch zu finden.
Der Worte sind genug gewechselt Im schwindsüchtigen Jahrtausend. Wir ersticken in Feuilletons süßem Datenbrei schriftlich wie bildlich sorgfältig auf den neuesten Stand gebrachten modedesignten Jahrtausendlügen. Zuviel bezahlte Schönredner gegen allen Verdacht von Widersinn.
Ein paar redliche Scharfsinnsucher hoffnungslose Idealisten halten das Arme-und-Reiche- das Macht-und-Ohnmachts-Spiel nicht mehr an mit der versagenden Kraft ihrer nackten Gedanken und blanken Wut.
Da muss jemand kommen der handelt ein Meister aber in Großformat diesmal aber ganz von innen aber mitten aus unserem heulenden Elend und schwach noch erinnerter Sehnsucht.
(1999)
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AM PLATZE SEIN
Wünsch mir nur dies: am Platze zu sein wo ich hingehöre jeweils und zu der Zeit wo es not tut. Da liegen die Worte all zungenbereit die Gesten machen zum Zeichen mich ganz und von allein ob auf zentraler Demo oder im Tête-à-tête immer in jedem Fall konspirativ.
Wünsch dir nicht minder dieselbe Instinktgnade da zu sein an Ort und Zeit: ganz inkarniert. Dort ist es wo wir uns sicher treffen und sei es von den entferntesten Orten der Welt unberechenbar regelmäßig in aller Freiheit im geistbewehten Zuhause immer in jedem Fall konspirativ.
(2006)
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Verteidigung des Wolfes gegen die Lämmer anlässlich seiner Enzyklika über die Liebe (2007)
seht in den spiegel: feig, scheuend die mühsal der wahrheit, dem lernen abgeneigt, das denken überantwortend den wölfen, der nasenring euer teuerster schmuck, (Hans-Magnus Enzensberger, Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer.)
Kritisiere uns keiner den Papst. Ist er ein Deutscher doch jetzt. Hier kritisiert man zwölf Jahre Barbarei. Das ist für Jahrhunderte Vorwand genug um Jahrtausende Repression zu vergessen in Sachen Liebe soziale Gerechtigkeit und dergleichen vom Geschlecht ganz zu schweigen. Die Beichtstühle gegen Selbstbefriedigung vor allem gegen sie und den zur Zeugung unnötigen Verkehr geschweige unehelichen wurden stillschweigend geschleift. Die diskreteste sexuelle Revolution aller Zeiten ohne den klerikalen Missbrauch zu ändern.
Die Hexen wurden inzwischen als typisch deutsch und nur vom weltlichen Arm gemartert erkannt. So die evangelische Amtshilfe aus Berlin. Die Inquisition wenn es je eine gab war im Grunde ganz deutsch wie sich jetzt endlich zeigt. Ließ der letzte Inquisitor doch alles blutige Werkzeug ausdrücklich fallen und wurde zum deutschen Papst.
Er bewies sogar Mut zum Diskurs mit dem deutschen Scharlatan Haberfrust. Ihm wies der päpstliche Musikant den möglichen Weg aus religiöser Unmusikalität. Unmusikalisch oder päpstlich ist hiermit die Alternative und diese sich abstoßenden Weltmächte ziehn sich prächtig ergänzend an verständnisinnig auf Machtbasis.
Kritisiere uns keiner den deutschen Papst im Namen von Aufklärung Gerechtigkeit Liebe Abschaffung von Privilegien gar im besten Konfessionsstaat den es je gab auf deutschem Boden seit dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Was war das auch gegen die heute noch blühende unfehlbare Rechthaberei global? Heiliges Römisches Reich deutscher Anti-Befreiungs-Theologie. Das stellt selbst das Kapital in den Schatten. Betrifft diese Geld-Weltkrake doch bloß indirekt das Heilige selbst. Hier aber geht es direttissime um Herrschaft über Gewissen und Seelenheil und unser aller Sehnsucht.
Lass deine hyperkritischen Hirnfinger doch wenigstens dies eine Mal unten vor dieser einzig noch heiligen Herrschaft und nenne diese nur diese eine nicht Heuchelei und unfehlbare Rechthaberei wo sie doch so schön so wunderschön kenntnisverdrängend alles selbsterzeugte Leid verleugnend geschichtsvergessen beansprucht den immer schon schnurgeraden Kurs der sonst uns allen so mühsam verschlungenen der ausgebeuteten Liebe der Menschen mit ihren Ängsten Opfern Wirren mit ihrem heiligen auch von päpstlichen Schreiben ganz unausrottbaren Sehnen.
(2007)
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MEIN SCHWARZWEIßROTGOLDENES KLAVIER (während es erstmals für mich gestimmt wird)
(Vgl. Mein Klavier in Themenkreis 1)
Altehrwürdiges neues Klavier Jahrhunderte altes Europa in Gusseisen Holz und hundertzehn Jahre deutscher Hauptstadt darin. Hof-Piano-Forte mit Oberdämpfung Dämpfung durch Obrigkeit. Überstrichen wurde das Feierschwarz aus Kaisers Zeiten mit sinnlichem Hippie-Altrot aber schludrig aufgetragen. Was hast du überstanden mein neuer Spielgefährte!
Hauptsache du kommst neu zum Klingen nach den kolossalen Wechselfällen nach tiefgefrorenen Unterständen möge alle Verstimmung vorübergehen möge Deutschland nicht scheitern seine Musen trotz alledem nicht erlahmen möge ich spielen lernen auf dir fast wie auf der geliebten Sprache die über diesem Land immer noch heiligt und feiert immer noch als ein großes Lied.
Spielen auf dem Schwarz-Weiß der Tastengedanken auf angegrautem Elfenbeinweiß zwischen Schwarz und Rot herausspielen wieder auf dem ehrwürdigen Körper deutscher Geschichte mit ungelenken Fingern mit fast ermüdeter Stimme das unaussprechliche Gold. Singen vom längst nicht erschöpften Ermüden von einem Seelengeheimnis das die Meister uns mögen enthüllen.
(2012)
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