Prof. Dr. Johannes Heinrichs
Integrale Philosophie

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Literarisches / 4. Gott spricht die Sprache der Tatsache

WEIHNACHTEN - WANN UND WO?

Wenn du Ich sagst
             um deine Waffen selbst zu verschenken

Wenn du zu singen anhebst
             und dich wunderst über dein Sorgen

Wenn du Kind wirst
             indem du über dich wächst

Wenn du hoffen kannst
             wo dich eben die Angst noch befiel

Dann ist es.

Wo du Licht schaust
             in deinen tieferen Dunkelheiten

Wo deine Armut gesteht
             und sich ihr Reichtum enthüllt

Wo du aufhorchend singen hörst
             aus dem Abgrund all deines Widersinns

Wo dein Schmerz
             die Kraft deiner Anbetung wird

Dort ist Er dann.

(1968)

 

 

 

ADVENTSPSALM

Lied des Ich vorweihnachts

Du baue ich ewiges Du
baue ich fortwährend Mauern?

Grabkammern meines ewigen Ich
und Ich aus Angst und Stolz.

An Lichtfestern wach ich noch
schaue aus diese Nacht

eine sinnende Insel aufs Meer
und ich höre es rufen:

Komm Du - unheimlich Heimlicher
Störer Du meiner Kreise

Durch die vielen Gesichter
Ruf meiner Brüder und Deiner:
Komm

Besser ganz überflutet von Du
was immer Du birgst

Als Sternensteinöder und Ich –
die Nacht ohne Weihe.

(1970)

 

 

 

EMMAUS

„Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn"
(Lukas 24, 31).

Vieles siehst du zum ersten Mal
indem du's zum letzten Mal siehst.
Aber das meiste beginnst du zu fassen
ist es erst offen unfasslich
dem Zugriff entzogen
unsern gehaltenen Augen.

Mag sein es glimmte schon damals
in der verwelkten Hoffnung
aber wie unter sengender Mittagssonne
und kein Geist loderte auf
bevor alles erlitten
gemäß der Schrift
und warum
und wir erkannten einander nicht
diesseits des Untergangs
und sind noch unsrer nicht sicher
ob ein erinnernd Geahntes
der Geist uns berührt.

Aber manche erkennen in Augenblicken
Ihn unverhofft
ihre Trauer gestehend
und sich auf Menschliches richtend
beim Brechen des Brots.

(1970)

 

 

 

EINE HOCHZEIT AM STROM

Und diese, von Hingang lebenden Dinge verstehn, dass du sie rühmst; vergänglich, traun sie ein Rettendes uns, den Vergänglichsten, zu.
(R.M. Rilke, Neunte Duineser Elegie)

Zu sagen bleibt
was an Dingen
allein sich sagt

und sperrt sich nicht
schwer gegen Worte
im Gegenteil – es schwebt

und schwebt im Gegenteile
den nichtssagend nichtigen Dingen
wie Ort und Zeit wie

sagen wir damals und heute
die alte Kirche am Strom
wo man heute sang

unter Küssen die Ringe tauschte
und schwieg – vor allen Dingen
heute und dort am Strom.

(1970)

 

 

 

KREUZ DER GEGENWART

Gegenwart selbst ist das Kreuz.
Daran geht der Hoffnung der Atem aus.
Deine Ideen sind nagelfest.

In deinen Sehnen
sehnt es
über erträgliches Maß –
stets entgleitende Einheit deiner Gezeiten.
Essiggestillt
wird dein Durst.

Hohe Ehre tut man dir an
hängt sie dir schriftlich über den Kopf
die lautere Wahrheit
das Unrecht selbst ruft sie aus
und leiser deine Ehre.

Man rät dir
Kraft zu gebrauchen
und die Beziehung zu nutzen.
Du aber musst bei der gnädigen Wahrheit bleiben:
dass widerwissend
sie Niegewusstes vollbringen.

Qual der Versuchung zuletzt:
Wenn du die Wahrheit sagtest
zerfiele sie dir
und es entzieht sich dein Gott
indem du ihn anrufst mit Namen
für ihre Ohren.

Die Finsternis aller Sonnen
sieht deinen Untergang und -
verkündet dein Auferstehen
noch ohne Gesang
blüht die Rose von Liebe im Kreuz
aus Gegenwart.

Vernunft über aller Vernunft.

(1970)

 

 

 

LASST MICH

Lasst mich

meine Brüder

so holt ihr mich.

Unentrinnbar

unbezwingbar

eingeholt sind wir

von ewiger Liebe.

Schaffend

Lassen wir es geschehen.

Sie spricht

wo unsere Worte enden

in der Auferstehung des Ungesagten

ins ausgefaltete einige Leben.

(1970)

 

 

 

EIN NEUJAHRSLIED

Die Klagen und Fragen
ins Leere
im Träumen
im Wachen
wohin?

Kein Haar fällt dir
ungezählt
kein Wort
ungehörtes vor allen
in Wachen und Traum

Denn du bist
in Fülle
wort- und antwortverschwendend
unendlich
endlich geliebt

(1971)

 

 

 

MARTINSTAG

Deine Stimme
von weither und glockenklar
weckte den Sonnenaufgang
über Nebel und Nachtsinn.

Ein Lied für den Tag.
Die Zeit nimmt sich Zeit
anbetet
den Grund
die Schmerzen
geschiedener Sonnentage
verklärt in Fackellichtern
und Liebesliedern
aus Kinderstimmen:
wie Martin den Mantel teilte
gegen den Frosttod.

Und deine Stimme teilte mit mir
die Worte gegen den Frosttod.

(1972) 

 

 

 

NEUJAHRSSCHWEIGEN

Schweigen zu Neujahr
durchs Telefon
vor andern
wo Worte zuviel
vor uns
wo Worte zuwenig.

Anbeten vor dem Ewigen
das uns schuf wiederschuf
woraus wir schöpfen werden
jahrlang durch alle Erschöpfungen
unerschöpflich hindurch.

Heiligen jeden heiligen Tag
durch Worte und unser tieferes
das flutet wie Liebe
Not Wende Fülle
auferlegtes teueres
Schweigen.

(1978)

 

 

 

JAHRESWENDE

Ein Jahr überstanden
jetzt gilt es zu siegen

Ein Jahrzehnt gebaut
jetzt gilt's zu gestalten

Eine Lebenshälfte gesucht
jetzt wäre zu leben

Einen Wohlstand Notstand gesammelt
Jetzt wäre zu teilen

Und zwischendurch finden
ein Ja
vielleicht Deines?

(1980)

 

 

 

ER BELIEBT ZU SCHERZEN

Der Herr Gott
erlaubt sich Scherze
gelegentlich
Arabesken krumme Figuren
worin sich bisweilen deutlich
Überfluss Laune höhere Zielbestimmtheit
erahnen lässt
die Inspiration des Genies.

Du und ich
in der Zeit und knapp
verstehn das vielleicht ganz
ohne Groll
wenn alles durchzittert ist
wie Reifeprüfung
aber schütteln uns
vor dem tränenreichen Rückblick
schon feierabends
vor Lachen.

(1980)

 

 

 

SPRACHE DER TATSACHEN

Gott spricht
die Sprache der Tatsachen
oft ungereimt
und unsere bare Münze
ist wie man sagt
Blut
das heißt
Hirnschmalz Nerven
Kraft Jugend
Glaube und
Mut.

(1980)

 

 

 

ADVENT IN DUNKLEN ZEITEN

Wieder beginnt die Zeit
der aufgesetzten Lichter
der Schattenverdränger.
Herrschaft der Kaufhallenleuchten
Weihnachtsmannsdröhnen.

Kalt fallen die Schatten
der großen Verdrängerin
der verdrängten Angst.
Den einen überkommt sie lichterloh
den anderen dunkel
im Geld- und Waffentausch
in den zerbrochnen Geschenken.

Wohl bleibt mir
vor den entscheidenden Sonnenwenden
und kommenden Wintern ein Wärmelicht
das Lagerfeuer bei dir
Kampfgefährte
gastfreundlich mitflackernd stetig
durch hoffnungsgeduckte Zeiten.

(1981)

 

 

 

NEUJAHRSFRAGEN

An welchem Neujahrstag
geh ich fiebernd zum Bahnhof
und auf einmal
bist du's ?

Wie oft noch
narrt mich die Sehnsucht
mit Wundern
und müde werde ich nicht ?

Wohin werden wir gehen dann
ohne wegzulaufen vor all den Tagen -
wie erlösen die enttäuschenden
und klatschen sie kreischend
als Froschkönige an die Wände ?

(1984)

 

 

 

NEUJAHRSTANZ

Nimm mich an die Hand
und tanze mit mir
das alte Jahr und das neue

Tanzen wir Götterdämmerung
Trennung Trauer
das alte Jahr

Lass deinen Körper zeigen
die Reifung eines Entschlusses
vollführe den großen Umschwung

Und nach der Befreiung lass viel erleben
spiel Unternehmungslust die Verzweiflungsdroge
spür die tiefkühlgefrorene Hoffnung

Und dann
dann tanz mir noch einmal entgegen
so unwissend wissend
verführerisch wie unnahbar
zögernd und schau
meine linkischen Schritte zu dir

Verblüfft gewahr ich wie du erwiderst
bis wir uns finden
der Abschiede müde
raum- und grenzenabschaffend
einer sich in den Armen des andern
zum Tanz in ein ganz neues Jahr.

(1988)

 

 

 

AM FEST DES LOYOLA

Ein jeder gehorche dem Oberen an Christi Statt
wie ein Stock in der Hand eines Greises.
(Aus den Regeln des Jesuitenordens)

Wie ein Stock in der Hand
des greisen Ignatius
bewegt sich die Feder aber
unter dem Hauch anderen Geistes.
Ungebrochen
von Irrfahrten steht der Schiffsmast
bis zum Ankerwurf
am Festland der Entdeckungen.

Bis an die fernsten Küsten Indiens
die frohe Botschaft tragen
dass nichts umsonst war
dass selbst Missionare
alleinseligmachender Illusionen
dabei sind sich zu bekehren
von Brandstiftung und Betrug um
sich selbst an Geistesfunken zu wärmen.

Omnia ad majorem Dei gloriam.
Es ist immer noch Zeit genug
sub specie aeternitatis.
Sanft speist Ewigkeit
jeden Augenblick neu wie
den frischen Morgen jetzt.
Unverbraucht sprudelt Seelenkraft
aus bemoosten Becken gelassen
in überströmende Becken.

Roma, Via degli Scipioni, 31.7.1989

 

 

 

DER FUCHS VOR WEIHNACHTEN

„Die Füchse haben Höhlen, die Vögel des Himmels Nester,
des Menschen Sohn aber hat nichts,
wohin er sein Haupt legen könnte."
(Lukas 9, 58)

Die Füchse haben ihre Höhlen
der Menschensohn aber
hat nichts wohin.
Aber wo mein Herr
wo leben sie und wie lange
und wo sieht man sie noch?

Dich seh ich in allen christlichen Stuben
Klassenräumen Regierungspalästen
wenngleich nie lebendig.
Du überlebtest heißt es
deine wohlsituierten Mörder
samt allen Füchsen -

wenngleich du selten erscheinst
Herr Jesus
wo immer bei wem auch immer
aber selten bei mir
seltener noch als der Fuchs
huscht uns den Bach entlang
für seine Weihnachtsgans.

(1989)

 

 

 

WEIHNACHTLICHER GAST

Mein Höheres Selbst spazieren führen
aufrecht und horchend bewegt.
Das ist die Haltung der Atem
worin mir wohl wird
Endzweck der Geist-Seele-Körper-Gymnastik
der Weg-Wahrheit-Lebens-Rhetorik
ist Weihnachten Ostern und Pfingsten
zugleich und Vergessen des ganzen
Ego-Heilsbetriebes ohne irgendwas
zu vergessen.

Komm du weihnachtlicher Gast!
Lass es dir wohl sein in meinem wandelnden Haus
und lass dich nicht scheuchen
sollte das Ich dich bemerken.

(1989)

 

 

 

FRONLEICHNAM

Die Monstranz hochhaltend
zwischen die Häuser gehen:
da stand vor vierzig Jahren das Korn
meinen staunenden Kinderkopf überragend und
das von Gesängen ergriffene Herz.
Kopf und Herz hörten göttlichen Lichtklang
fließen in unsere Welt
gewahrten den größeren Leib des Herrn.

Heute trag ich die Goldmonstranz
meines Höheren Selbst allein
in die ernüchterte Landschaft
Mühen Trauer Sorgen
verlorener Jahre
schweigen im Jugendgedenken
erinnernd das Alterslose:
Das fließt nicht minder heute in diese Erde
geschundene Landschaft aufzuforsten
Dein Reich komme doch noch
und nunmehr bald!

(1991)

 

 

 

WEIHNACHTEN WIE NIE

 

Lasst es gut sein

mit dem Eiabubeitschi

vom Kind im Stall.

Der Christus ist Mann geworden

und die Welt in der Halbstarkenkrise

wie nie.

Er steht vor den Toren wie nie

und mit der Hoffnung steht's

allem Anschein und Ächzen zum Trotz

gut wie nie.

Lasst es gut sein

und öffnet ihm

dieses Weihnachten noch

wie zuvor nie.

(1996)

 

 

 

  SCHICKSALSGETRAGEN

„Es ist ein Gott in uns, der lenkt, wie Wasserbäche,
das Schicksal, und alle Dinge sind sein Element.“
(F. Hölderlin, Hyperion)

 

  Beim frühen Sonntagslicht
  durch die fremde Stadt ziehen
  frühstücken den Reichtum
  alter wie jüngster Fassaden
  auferstehend aus Ruinen.

  Junge Aufgeweckte bewundern
  und unwillkürlich grüßen
  wie ich sie unversehens
  an eine Berühmtheit erinnre.

  Keine Komplexe dann spüren 
  nicht die alte Ungerechtigkeitstrauer 
  nur noch Dank fühlen aber richtig 
  fühlen alles Getragensein 
  von einem unergründlichen 
  irgendwie gründlichen Schicksal.

       (2011)