STURZ DER SCHWALBE
Wer sucht, der geht leicht selber verloren. Alle Vereinsamung ist Schuld: also spricht die Herde. (Friedrich Nietzsche)
Sonst kühltest du die weiße Brust im Übermut. Und nun von Eisflut nahen Winters klebt dein Gefieder dir am zitternden Balg fällst als ein Stein zum Steingrund. Du fasst nicht mehr die tragendumgebende Luft die dich einst über Meere trug.
Verloren hast du Verlorener sie die mit dir zogen. Manchesmal wieder rauscht es über dich weg. Deine heiseren Schreie verhallen wecken Hohn: ist das einer der Unsern? Schwäche erscheint wohin dich Wagemut trieb und – ist dein Krächzen noch Schwalbenruf Kraft zu Ferne und Höhenlust?
So schweig und leide die Nacht. Über dem Meer wird die Sonne erscheinen gerade über dir stille stehn und sich über dich beugen wird sie. Du wirst die letzte Nässe aus deinen Schwingen schleudern und dich zu ihr heben hoch frei und all-einig.
Da löst du die Stimme – dein Dank tönt als hellkündender Pfiff. Ihm noch voraus eilt deine gesammelte Sonnenkraft. Mehr als du selbst wirst du sein im Heimriss: weisender Pfeil und wissender Bote.
(1966)
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VERBORGENER TAG
Überhaupt heute wusste ich nicht war mir warm oder kalt. Niemand hat mich gesehen am wenigsten ich.
Einer alten Einsicht zu folgen bin ich im Anerkennen und Anerkanntsein und erkenne es an derweil ich bin am verborgenen Tag.
(1968)
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MUSS AHNUNG SEIN
Darum bin ich allein die Ungeduld kommt daher wollen bersten die Knospen mitten im Ringen nach Licht wenn die Gestrüppe und Schatten noch übermächtiger werden und dass ich bei Kenntnis der Menschen nicht müde bin ihre Ehre zu suchen - muss Ahnung sein vom großen einigen Anerkennen Austausch und Strömen und wechselnde Ruhe.
(1970)
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BIS ZUM GERICHT
Müsst ich nicht sagen ich habe Recht weil ich Ich bin wie alle Ihr – in urgeteilter Einsicht oft oder immer mit meinem Urteil wäre mir wohler.
Getragen sein will mein Ur-Teil und Ich durch Recht oder Unrecht mit Freund aber oder Feind – Richtung bis zum Gericht dem ersten und letzten dem einzigen Erkennen wie ich erkannt bin.
(1970)
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LOSE BLÄTTER
Lose Blätter - unregelmäßiger wurde das Tagebuch in den Jahren. Denn nur manchmal ist Ernte wie im Vorübergehn und oft erst um Mitternacht unter späten Sommergewittern: schlaftrunkener Erntedank für alles Mühengesäte.
Unregelmäßig gewinnt Gestalt ein fast schon geträumter Seufzer und Klage und gleichfalls unsäglicher Freude wortlos verblieben bei Tageslicht und unterirdisch gereift un-scheinbar im Tieferen als der Tag.
Unregelmäßig füllt sich ein loses Blatt mit Hoffnung in Worten gekeltert.
(1970)
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SPRACHE SPRICHT MIR
Liebe ich nichts als Liebe und lebe aus Leben Sprache spricht mir dass ich sie spreche Einheit eint mich allen die einzeln wie ich wenn ich schweige und ende und weiter suche weil ich gefunden.
(1970)
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IMMER NOCH
Um der Erinnerung willen geh ich die alten Wege. Ruft alles zu leise dem wissenden Rückblick höre ich lauter fragen: fasst du es heute besser als ein anderer jetzt?
Oder noch immer selbst Wegsein und Aufbruch durch die Zeiten ängstende Burg unter wechselndem Himmel währendes Fragen Hoffen immer noch etwas Mut und deine alte Liebe?
Immer noch nur mehr Wunden wie viel mehr Dank.
(1970)
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SPIEGELBILD
Öfters tritt dein Spiegelbild vor dich in Frage ob dies dein Gesicht seiner Gesichte fähig.
Bergseespiegelfläche erscheint glänzt so ruhig wie tief der Abgrund das Leben in Höhlen reicht.
Klarer sieht sich die Taglichtwelt: Steinberge – Baumwerk – Wolken in Umriss und Schattenspiel dichter versammelte Frage
über der Tiefe in Bildern.
(1971)
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GEHEIMNISTRÄGER
Geheimnisträger sind wir. Unsere Wunden machen es offenbar. Schlössen sie sich – unsichtbar würde das kostbare Eine Blut aller. Einzeln bewegen es unsere Herzen einzeln bewegt. Was unter trennenden Oberflächen hautnah pulsiert verraten die offenen Wunden
(1972)
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WENN DU HORCHST
Das geliebte Gesicht die geweckten Schmerzen lieber und wacher. Was ist der Mensch?
Du und viele Sorgengesichter Lächeln Angstrasen Trugbilder ein Hauch Glück Vergessen im Weitergehn und erinnernd Stehn.
Und unsichtbar hört Es wenn du horchst zwischen die Klagen und spricht manchmal wenn du horchst: Weisung zum Weitergehn.
(1973)
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ALTER REIM
Worte verklungen die Lieder Fragen werden laut dieses Immerwieder - noch nichts fest gebaut.
Zweifel erwachen das Wissen wirkt noch interessant was wir wählen müssen dagegen bleibt unbekannt.
Neue Straßen die Fernen rücken zwischen uns ein – willst Neues sagen lernen und – findest zum alten Reim.
(1974)
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SCHWERE NACHT
Am Morgen danach bleiben Spuren. Wirbelsturm raste im Wald Gedankenmassen ungebändigt aus Sehnen in Angst. Nichtweiterwissen und –wollen vergebliches Rufen gegen paarweise Missverständnisse die in Übermut Junge zeugen derweil du allein liegst. Hirnzerfall unwiederbringliches Roden. Aus der Ohnmacht deiner Gebete erwacht aus dem Erlösungsschlaf wieder allein hältst du mühsam den Sturm an der Morgensonne gefesselt.
(1977)
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JAHRESWENDE
Ein Jahr überstanden jetzt gilt es zu siegen
Ein Jahrzehnt gebaut jetzt gilt's zu gestalten
Eine Lebenshälfte gesucht jetzt wäre zu leben
Einen Wohlstand Notstand gesammelt Jetzt wäre zu teilen
Und zwischendurch finden ein Ja vielleicht deines?
(1980)
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MEIN KLAVIER
Mein Klavier wie Gedanken schwarz-weiß und samtener Klang fünfhundert Jahre Neuzeitgeschichte darin ständige Reformation kopernikanisch des Objekts vom Subjekt her Europa in Japanholz - Yamahaklang
Meine Kindheit darin wie ich auf dem Küchentisch spielte der Junge braucht ein Klavier erste Tastenberührung zwischen den Ladenzeiten Aufklingen Dämpfung Dämpfung
Die Jugend das Spielen verspielt unter spanischen Stiefeln Harmoniumsverschüchterung bei Choralharmonien - sie kriegten am Ende die Lieder nicht nieder schwarz-weißer Stimmklang rieselte doch in die spätscholastische Steppe
Erst spät zum Eignen gekommen mit der Freiheit des Christenmenschen romantische Qual und Selbstinnigkeit Schubert-Schumann für Solostimme "Dort wo du nicht bist dort ist das Glück" mit Beethovens Schöpferpochen darin Same zu neuer Zeugung und Aufbegehren gegen die Throne
Den Freiheitsklang üben der golden schimmert zwischen Schwarz und Weiß einmal gemeinsame Freiheit-wozu wenn du vergessen spielst und ich schütte mein Lied verdichteten Freudfeueratem in deinen Klangraum maßlos über die Maßen
(1980)
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WAS BLEIBT
Zu Martin wird der Balkon geräumt von Blumen und ihresgleichen. Einen Sommer lang bot er mir das Ungewohnteste: Heimat. Ein zweiter bleibt ungewiss. Es bleibt die Drachenfelsmajestät belaubt oder unbelaubt. Verwandter bleibt mir der Strom sich gleich ohne Bleibe. Kann sein er rät zu anderen Ufern beständig zur Freiheit des Aufbruchs. Die Stelle des Übergangs ins neue Jahrtausend bleibt auch noch zu finden.
(1981)
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WENN ICH NICHT WEITER WEISS
Als er über die Straße lief kostete es ihn das Leben. So ist das Leben.
Weil du in den Zug einstiegst trafst du mich. So ist die Liebe.
Wenn ich nicht weiter weiß schreibe ich weiter. So sind Gedichte.
(1986)
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ERLEUCHTUNG
Von Tag zu Tag hoffen. Aber die Sprache bleibt aus. Alles schon bejammert alles verjubelt. Ich fing das Saufen an von Atemluft. Prana strömt unbegrenzt unendlicher Kraftfluss wozu auch immer. Erretten könnte allein aus dem hoffenden Elend aus der stockenden Sprache Erleuchtung.
(1987)
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NEUE ÜBUNGEN
Atmen üben tief ohne Seufzen
Singen üben frei ohne besondere Widmung
Sammlung üben ohne bestimmteres Träumen
Hoffen üben frisch ohne das alte Gedächtnis
Reisen üben so als wüsste ich nun das Ziel
Sprechen üben und Schreiben als ob ich die Sprache noch könnte
Üben nur manchmal zu denken an dich
Fremdsein üben als wäre das eigentlich alles.
(1987)
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GEZOGENER ZAHN
Ein Weisheitszahn wurde gezogen. Es war nicht der letzte. Noch bin ich unterwegs Richtung Weisheit. Gezogen wurde der Zahn eines großen Vertrauens. Womöglich wahlentscheidend.
(2006)
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